Die Rückeroberung

Ich gebe es offen und ehrlich zu: ich habe nicht viel Ahnung von Kunst. Wahrscheinlich habe ich sogar wenig Verständnis für Kunst. Das heisst, ich lese gerne, Belletristik, Sachbücher öden mich meistens an, ist der Inhalt noch so wichtig und interessant, meine Konzentration lässt nach 5 Seiten nach (als Mitglied der SP ist das wohl eher untypisch und ich schäme mich dafür auch halbwegs). Ich mag auch Bilder und Kunstinstallationen. Zum Beispiel die «Seesicht» von Roman Signer in Zug, oder Jeff Koons in Bilbao. Natürlich mag ich auch Musik, obwohl ich finde, die meiste gute Musik, ist traurige Musik und bringt mich nur zum heulen. Aber es gibt auch lüpfige Gute-Laune-Musik und mitreissende Tanz-Rhythmen (ich geh zu wenig oft tanzen). Aber angesichts den politischen Umständen, Wahlkampf und Flüchtlingskrise, fragt ihr euch sicher, was schreibt die jetzt über Kunst. Und ich frage mich täglich, was mach ich hier bloss? Jeden Tag in den Zug steigen, zur Arbeit fahren, Freunde treffen, wandern gehen, Bücher lesen, Musik hören und Wahlkampf machen: telefonieren, Postkarten schreiben, Flyer verteilen, an Standaktionen teilnehmen und Podien besuchen.

Zur selben Zeit wird in Ungarn und Mazedonien auf Flüchtlinge eingeprügelt, von Grenzwächter bis zur Kamerafrau, gleichzeitig werden Menschen am Mittelmeer tot angespült und in Deutschland brennen Asylunterkünfte. Da kommt mir alles so verdammt lächerlich vor. So verdammt abgehoben. Privilegiert. Aber man muss ja was aus seinen Privilegien, zu denen man ohne grosses Zutun gekommen ist, machen. Wahlkampf also, für die Menschenrechte einstehen, den Rechts-Rutsch verhindern (haha nur schon dieser Ausdruck: leben wir nicht schon längst in einer rechtsgerutschten Gesellschaft, resp. ist das Rechte nicht schon längst in die Mitte der Gesellschaft gerückt?). Ich weiss nicht, bin ich jetzt zynisch? Wie gesagt, mein Verständnis für Kunst steckt in den Kinderschuhen.

Am meisten nervt es mich aber, wenn Kunstschaffende so tun, als wären sie apolitisch. Sie dürfen sich politisch nicht positionieren, weil sie dann einen Teil oder sogar grossen Teil ihrer Fangemeinde verlieren. Bullshit! Kunst ist immer politisch oder zumindest im politischen Kontext zu sehen. Das regt mich so auf. Gut, das umgekehrte gibt es auch, Kunstschaffende, die meinen ach so politisch zu sein, es aber nicht sind. Milo Moiré zum Beispiel: Motto alle werden nackt geboren, deshalb präsentiert sie sich immer nackt, mit operativ vergrösserten Brüsten… Umso erfreulicher ist es, wenn sich bekannte Künster_innen dann doch mal äussern und ihre Macht, dass sie in der Bevölkerung beliebt UND bekannt sind, nutzen (eine Kombination die bei Politiker_innen leider selten ist. Sportler_innen hätten diese Macht auch, nutzen sie aber nie). An dieser Stelle möchte ich Knackeboul ganz herzlich danken, einer der sich öffentlich politisch äussert und zwar immer, nicht nur dann, wenn man fast nicht mehr schweigen kann, wie jetzt. Jetzt äussern sich viele. Plötzlich bin ich Fan von Til Schweiger, Jocko und Klaas. Auch so einer ist Franz Hohler, danke für dein Flüchtlingsmanifest! Und für das Schreiben einer meiner Lieblingsgeschichten «Die Rückeroberung», vielleicht wäre das auch ein passender Titel für die aktuelle Flüchtlingskrise.