Überraschung!

Auch Politik ist manchmal für Überraschungen gut. Dies etwa dann, wenn ein Parlament zu erkennen gibt, dass es eben doch besser ist als sein Ruf. So geschehen gestern Abend im Zürcher Gemeinderat anlässlich der Debatte zu den wohnbaupolitischen Initiativen der SP und der EVP.

Nicht, dass bei den beteiligten Parteien unerwartete neue Einsichten auszumachen gewesen wären. Im Gegenteil: Auch diesmal verfielen die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien rechts der Mitte ihrem wohlbekannten Reflex, die Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Stadt Zürich schönzureden – immer wieder erstaunlich angesichts der vielen Leidensgeschichten und der Ratlosigkeit, denen begegnet, wer sich auf Zürichs Strassen über Wohnbaufragen unterhält.

Überraschend aber war, dass sich im Ratsplenum trotz der starren Fronten erstmals seit Langem eine echte wohnbaupolitische Diskussion ergab. Und nicht bloss eine spätabendliche Polemik. Es war eine mit harten Bandagen geführte Debatte, wie sie in Parlamenten möglich sein muss. Doch war sie gleichwohl fast durchwegs sachbezogen und bisweilen gar mit Humor garniert. Und an ihrem Ende stand eine konstruktive, von einer soliden Mehrheit getragenen Lösung: Der Gemeinderat verabschiedete mit den Stimmen von SP, Grünen, CVP, AL, EVP und SD einen Gegenvorschlag, der die Kernelemente der SP-Initiative (aber auch der EVP-Begehren) aufnimmt. So soll in der Gemeindeordnung festgeschrieben werden, dass der Anteil gemeinnütziger, in Kostenmiete vermieteter Wohnungen bis 2050 ein Drittel des Gesamtwohnungsbestands in der Stadt Zürich ausmachen soll. Und die Stadt verpflichtet sich dem Ziel der sozialen Durchmischung in allen Quartieren.

Wohlverstanden: Dieser Gegenvorschlag verlangte der SP durchaus Zugeständnisse ab – ein Grund zur Euphorie ist er nicht. Hierfür ist die Aufgabe, die allen Akteuren nun bei der Umsetzung gestellt ist, zu gross. Ebenso steht die Bewährungsprobe für den politischen Willen, das ambitionierte Ziel zu erreichen, erst noch an. Es darf aber erwartet werden, dass die gestrige Gemeinderatsdebatte und die davor geführten Diskussionen allen Beteiligten Verpflichtung genug sind, mit Engagement und Sachbezogenheit auf das im Gegenvorschlag festgeschriebene Ziel hinzuwirken.

Ich hoffe, dass sachliche Debatten wie die gestrige vermehrt zur Regel werden – und nicht länger eine Überraschung darstellen. Vor allem aber muss das lösungsorientierte, dem Schaffen breit abgestützter Mehrheiten verpflichtete Vorgehen im Hintergrund zur Selbstverständlichkeit werden. Und dies nicht nur auf der lokalpolitischen Ebene Zürichs. Sondern dank der Stärkung pragmatischer Kräfte am 23. Oktober auch wieder vermehrt in der grossen Berner Kammer. Deren blockierende Polarisierung in den letzten vier Jahren sollte besser früher als später überwunden werden.